
Paul Samuelson schaut der Farbe beim Trocknen zu.
“Investieren sollte so spannend sein wie Farbe beim Trocknen zuzusehen oder Gras beim Wachsen. Wer Nervenkitzel will, soll mit 800 Dollar nach Las Vegas fahren.” -Paul Samuelson
Es ist einige Zeit vergangen, seit ich das letzte Mal über Clinuvel berichtet habe – und zwar nach dem Investoren-Meeting in Düsseldorf im März vergangenen Jahres.
 Was ist seitdem passiert? Zunächst das vordergründige: Der Aktienkurs ist um 21% gefallen, von damals 14.36 AUD auf jetzt 11.31 AUD, im Tief zeitweise auf unter 10 AUD. Werte, wie wir sie seit 2018 – also noch vor der EPP-Zulassung in den USA – nicht mehr gesehen haben.
Geht das Unternehmen also den Bach runter?
Diesen Eindruck könnte man gewinnen. Und da einem der Aktienkurs jeden Tag entgegen brüllt, pharmazeutische Entwicklung aber langen, gewundenen Pfaden folgt, hier nochmal eine Sammlung meiner aktuellen Gedanken zu Clinuvel. Ich schreibe diese nieder, um selbst ein rationales Bild meines Investments zu behalten – auch wenn der Aktienkurs andere Signale sendet.
Was passierte in den letzten 18 Monaten?
Eigentlich gar nicht so wenig:
Vitiligo: Studienfortschritt im Plan
Clinuvel hatte die CUV105 Studie, in der ca. 200 Vitiligo-Patienten mit Afamelanotide + UV-Lichttherapie behandelt werden, im Oktober 2023 gestartet. In 2024 zeigte sich, dass es schwer war, die Patienten im Placebo-Arm an Bord zu halten, weil diese relativ schnell merkten, dass sich bei ihnen keine Besserung einstellte. Daraufhin hat Clinuvel das Studienprotokoll insoweit geändert, dass die Placebo-Patienten im Anschluss an die Placebo-Behandlung auch mit der wirksamen Therapie behandelt werden. Diese Anpassung führte dazu, dass Clinuvel die Rekrutierung und Behandlung der Patienten innerhalb des geplanten Zeitrahmens abschließen konnte. Zu zwei Zeitpunkten wurden Fallstudien ausgewählter Patienten veröffentlicht, die deutlich den Pigmentierungsfortschritt – auch über den Behandlungszeitraum hinaus – dokumentieren:

Quellen: Case study 1 (Jan 2025), Case study 2 (Sep 2025)
Seit Oktober ist die Behandlung des letzten Patienten abgeschlossen, und es beginnt die Datenauswertung. Mit Ergebnissen ist hier im Herbst 2026 zu rechnen.
Fokussierung auf Vitiligo, XP & OTC Produkte
im November 2024 gab das Unternehmen bekannt, seine Ressourcen mit Priorität auf Vitiligo, EPP +VP, ACTH & OTC zu fokussieren, da diese aus Sicht des Unternehmens die größten Erfolgswahrscheinlichkeiten aufweisen. Im Umkehrschluss sind damit Schlaganfall und Erkrankungen des zentralen Nervensystems (wie z.B. Parkinson) vorläufig auf Eis gelegt.
Messeauftritt zu EPP und Vitiligo auf der Jahresmesse der American Association of Dermatology (AAD)
Im März präsentierte sich das Unternehmen im Rahmen des größten Dermatologie-Kongresses in Amerika, der AAD 2025. Clinuvel stellte in einem groß dimensionierten Pavillon dar, wie EPP und Vitiligo das Leben der Patienten beeinflusst und welchen Belastungen sie ausgesetzt sind, und welche Ansätze Clinuvel bereithält, um Patienten zu helfen (Link). In Summe sicher ein bemerkenswerter Auftritt, auch wenn zahlreiche Aktionäre erwartet hatten, dass im Rahmen der angekündigten Kommunikationskampagne auch etwas zu den Kosmetikprodukten gesagt wird.
Dosiserweiterung EPP in Europa
Bisher konnten EPP-Patienten in Europa nur 4 Implantate pro Jahr in Anspruch nehmen. Da die Implantate jedoch über die Zeit an Wirkung verlieren und durchgängiger Schutz nur mit Erneuerung alle 2 Monate gegeben ist, haben die meisten Patienten im Winter auf die Implantate verzichtet.
Durch die genehmigte Dosiserweiterung von 4 auf 6 Implantate im September 2025 können die Patienten nun durchgängig den Schutz durch Afamelanotide in Anspruch nehmen.
Für Clinuvel bedeutet dies, dass die europäischen Umsätze um bis zu 50% steigen könnten; nimmt man an, dass Europa 30-50% des Umsatzes ausmacht (und ggf. nicht alle Patienten das Angebot annehmen), bleibt unter dem Strich ein potentielles Umsatzwachstum von 10-20% (in Ergänzung zum normalen organischen Wachstum).
Diese Punkte klingen zunächst mal sehr positiv, aber es findet sich nicht im Aktienkurs wieder. Es kann durchaus sein, dass es längere Phasen gibt, in denen fundamentale Entwicklungen vom Aktienkurs entkoppelt sind, aber wir sehen bei Clinuvel ein Auseinanderlaufen der fundamentalen Entwicklung ggü. des Aktienkurses über mehrere Jahre. Ein Teil davon kann in Unsicherheiten zum Ausblick begründet sein:
Ausblick: Was ist in Zukunft zu erwarten
Vitiligo: CUV107 erforderlich?
Clinuvels Plan war es im letzten Jahr, nach Abschluss der CUV105-Studie die Marktzulassung für Vitiligo bei der US-amerikanischen FDA zu beantragen. Die zweite Studie CUV107 sollte dennoch jedoch bereits parallel gestartet werden, um für den Fall vorbereitet zu sein, dass die FDA eine weitere Studie verlangt.
Während dies im letzten Jahr noch nach einem Risiko-abgesicherten Plan klang, scheint sich dieses Risiko jedoch zumindest in der Einschätzung von Clinuvel materialisiert zu haben, denn seit dem Jahresbericht 2024/25 sprechen sie von der Notwendigkeit, CUV107 vor der Marktzulassung durchzuführen. Dies würde bisherige Zeitpläne für Vitiligo mindestens 1 Jahr verzögern, und man würde wahrscheinlich erst 2029 die Zulassung erhalten können. Darüber hinaus wurde auf der AGM (Hauptversammlung) erwähnt, dass man zunächst mit der EMA (Europäische Arzneimittelbehörde) und erst dann mit der FDA (USA) sprechen würde, ohne dies tiefer zu erläutern – es blieb auch unklar, ob es hier nur um Vorgespräche nach CUV105 oder um die Marktzulassung ging. Ggf. ist dies geprägt von aktuellen Veränderungen bei der FDA, der Verfügbarkeit im Shutdown o.ä. Da dies jedoch einen deutlichen Strategiewechsel im Vergleich zu vergangener Kommunikation darstellt, würde mehr Hintergrundinformationen den Aktionären sicher helfen, diese Änderung zu verstehen und Unsicherheit zu reduzieren.
EPP: Konkurrenz am Horizont?
In den vergangenen Jahren wurde immer wieder das Risiko von Wettbewerb bei EPP ins Feld geführt. So hat zum Beispiel Mitsubishi Tanabe ein Präparat für EPP namens Dersimelagon entwickelt, für das sie nach zahlreichen Verzögerungen inzwischen ausreichend Patienten für eine Phase 3 rekrutieren konnten – hier ist aber zumindest kurzfristig keine Konkurrenz zu erwarten.
Anders sieht es aus bei der börsennotierten DISC Medicine, die für EPP Bitopertin ins Rennen geworfen haben. Das von Roche entwickelte Molekül scheiterte in der Anwendung für Schizophrenie und wurde anschließend von DISC übernommen und durch eine Phase 2 EPP Studie getestet. Diese Studie konnte die geplanten Endpunkte statistisch nicht bestätigen (was aber auch bei Clinuvel passierte, da Patienten sich nicht trauten, ihr Verhalten im Umgang mit Sonne radikal zu verändern). Nun hat sich DISC jedoch entschieden, mit diesen durchwachsenen Phase 2 Daten eine Marktzulassung ohne Phase 3 Studie zu beantragen, und hat dafür von der FDA noch einen „Priority Voucher“ (vorrangige Begutachtung) erhalten. Dadurch wird der Prozess der Marktzulassung auf 6 Monate beschleunigt. Hier ist mit Ergebnissen also im März 2026 zu rechnen, und natürlich wäre ein wirksames (noch zu beweisen) orales Medikament ein potentieller Konkurrent zu Scenesse. Hier könnten also Marktanteile verloren gehen und der Wettbewerb zu Preissenkungen zwingen. Dazu müsste aber eben diese Zulassung erfolgreich sein, und Patienten müssten willens sein, von einem verlässlichen Produkt auf eine Alternative zu wechseln, mit der sie bislang keine Erfahrungen haben, und die im Gegensatz zum Implantat durch die regelmäßige orale Einnahme die Leber belastet, die bei vielen EPP-Patienten bereits vorgeschädigt ist. Darüber hinaus ist die Marktpenetration von Clinuvel bei EPP so gering, dass es auch für DISC genug Patienten geben wird, ohne mit Clinuvel zu kannibalisieren – aber mit Sicherheit kann das natürlich keiner sagen.
Meine Vermutung ist, dass dies der Grund ist, warum Clinuvel den angekündigten Aktienrückkauf nicht umsetzt – weil sie für den schlimmsten aller Fälle (signifikant niedrigere Cashflows aus EPP, hohe Studienkosten für Vitiligo und mehrere Jahre bis zum neuen Umsatz aus Vitiligo) ohne Kapitalerhöhung auskommen wollen, um sich nicht erpressbar zu machen.
Es könnte also sein, dass der Markt aufgrund dieses Risikos ein Unternehmen mit ca. 100 mAUD Umsatz und 50 mAUD Free Cashflow mit 350mAUD bewertet (wenn man den Cash abzieht). Gleichzeitig ist die oben genannten DISC, die aktuell keine Umsätze aufweist und die in der naheliegenden Pipeline nur Bitopertin für EPP mit einer schwachen Phase 2 Studie hat, mit 4.800 mAUD bewertet ist – also mehr als dem Dreizehnfachen als Clinuvel.
Das könnte auch der Grund für das angekündigte …
NASDAQ Level 2 listing upgrade
… sein. Denn ein solch eklatanter Bewertungsunterschied zwischen zwei Unternehmen, die den gleichen Markt adressieren (EPP), aber so unterschiedlich im Fortschritt und der Profitabilität sind, kann eigentlich nur zustande kommen, wenn das Investoreninteresse durch Marktschranken begrenzt ist. Und dies ist für Clinuvel durchaus der Fall. Zwar lässt sich die Aktie in den USA handeln, aber nur in Form eines American Depository Receipts. Die Bank of New York Mellon packt Clinuvel Aktien in Briefumschläge, schreibt statt CUV CLVLY drauf, und lässt sich diesen Service von den US-Investoren mit 0.02 USD pro Aktie jährlich bezahlen (!). Dafür wird die Aktie jedoch nur im OTC (Over-the-counter) Handel gelistet, und das führt zu schlechter Kursstellung und mangelnder Liquidität. Viele, insbesondere institutionelle Investoren dürfen in solche Aktien gar nicht investieren, selbst wenn der Markt längst nicht mehr so verschrien ist wie zu „Wolf of Wallstreet“ Zeiten.
Mit dem geplanten Upgrade auf Level 2 an der NASDAQ gehören diese Beschränkungen der Vergangenheit an. Und Clinuvel könnte sich im Heimatmarkt mit DISC Medicine messen. Und ich vermute, dass das Management zum Teil auch darauf hofft, dass einigen Investoren diese Bewertungsdiskrepanz auffällt.
Durch den Shutdown in den USA gibt es leider aktuell Verzögerungen beim Filing des 20-F Reports, der die Voraussetzung für das Uplisting ist. Heute hat Clinuvel veröffentlicht, dass es zwar Verzögerungen gibt, sie aber noch im „internen Zeitplan“ liegen. Damit bleibt zu hoffen, dass wir spätestens im Q1 2026 das Upgrade sehen werden.
OTCs: Zurück auf Los
Die größte Enttäuschung für viele Aktionäre war sicher der mangelnde Fortschritt bei den Kosmetik-Produkten für natürliche Bräunung. Während in den letzten Jahren sehr detailliert die Produktlaunches mit optimistischen Begriffen („Household name“, „Summer of Clinuvel 2026“) angekündigt wurden, so scheinen mir die Produkte noch nicht reif fürs Regal zu sein, wenn ich die Aussagen von Philippe Wolgen auf der AGM richtig interpretiere. Er formulierte dort sinngemäß folgenden Satz: „Man braucht ein Kosmetikum, dass man 1-2 Mal pro Tag, anwendet, nicht 6 Mal am Tag oder mehr“. Meine Interpretation dazu: Clinuvel hat eine Bräunungscreme, die jedoch mindestens 6 Mal am Tag aufgetragen werden muss, um Wirkung zu entfalten. Das ist für ein kosmetisches Produkt leider nicht akzeptabel, da niemand sich über Wochen 6 Mal am Tag an- und ausziehen möchte. Im nächsten Satz sagte er: „Es gibt da einige kinetische Herausforderungen“. Bei einem Kosmetikum bedeutet das, dass die „Bewegung“ des Wirkstoffes in die Haut nicht schnell genug oder in ausreichenden Konzentrationen erfolgt, bevor die Moleküle an der Hautoberfläche abgerieben werden oder durch oxidativen Stress zerfallen. Das ist der Grund, warum man aktuell eben 6 tägliche Anwendungen braucht.
Das Unternehmen arbeitet aktuell an der Verbesserung dieser Kinetik; dies kann z.B. geschehen durch Kapselung des Wirkstoffs (zum Schutz vor Oxidation, oder zum besseren Transport in der lipophilen Hautumgebung). Dies ist jedoch kein triviales Unterfangen, sondern die Kernherausforderung jeder kosmetischen Produktentwicklung. Daher bin ich skeptisch, ob die OTCs tatsächlich das volle Marktpotenzial einer natürlichen Selbstbräunung erreichen können. Clinuvel war hier bisher eher konservativ mit einem geschätzten Jahresumsatz von 50 mAUD – vielleicht ist dies die Erklärung dafür. Sollte es bei 6 notwendigen täglichen Anwendungen bleiben, ist das Produkt nur an Bräunungs-Afficionados verkäuflich.
Konsequenzen für die Bewertung
Was bedeutet das für den fairen Wert des Unternehmens?
Ihr erinnert Euch vermutlich noch an das Clinuvel-Discounted-Cashflow Dashboard. Dies war bisher mit meinen Annahmen aus dem Februar 2023 gefüttert (Artikel hier).
Basierend auf den oben genannten Erkenntnissen würde ich folgende Anpassungen für angemessen halten, um zu einer konservativen Bewertung zu kommen:
Vitiligo:
- Markteinführung 2029 statt 2028
 - Preisanpassung auf 12.000: Clinuvel geht nach FDA-Gesprächen von sogar ~19.000 aus. Das würde faktisch bedeuten, dass sie das Rare-Disease-Pricing von EPP aufrecht erhalten könnten
 - Anpassung auf 330 Tausend Patienten (USA, Fitzpatrick Type IV-VI, 0.5% betroffene Hautoberfläche)
 - maximale Penetration von 4%, davon 0.8% im ersten Jahr
 - Resultierender Vitiligo Umsatz Y1/Y2 von 253/354 mn AUD vs CUV Schätzungen: 750-870 mn AUD (S. 13)
 
AIS
- Erfolgswahrscheinlichkeit auf Null: Depriorisiert (aktuell nicht realistisch abzuschätzen)
 
OTCs
- Erfolgswahrscheinlichkeit auf Null (aktuell nicht realistisch abzuschätzen)
 
XP
- Erfolgswahrscheinlichkeit auf Null: Depriorisiert (aktuell nicht realistisch abzuschätzen)
 
Dies führt zu einem vergleichsweise erstaunlichen Ergebnis: Trotz des Ignorierens von AIS, OTCs, XP (die in der Feb 2023 Analyse enthalten waren), bleibt der faire Wert bei ca 37 AUD. Hauptgrund dafür ist die Anpassung der Annahmen bei Vitiligo in Richtung der von Clinuvel veröffentlichen Marktannahmen. Hier hatte ich früher deutlich niedrigere Implantats-Preise von 2500 AUD angenommen, in der Erwartung, dass sich ein höheres Pricing bei der FDA nicht durchsetzen lässt. Clinuvel hat jedoch mehrfach kommuniziert, dass sie Preise in fast ähnlicher Höhe wie bei EPP erwarten, was natürlich Umsatz und insbesondere die Brutto-Marge deutlich treibt.
Es zeigt sich aber auch der „Value of Time“ (in Anspielung auf die Rede von Philippe Wolgen auf der AGM): Ein Jahr Verzögerung bei Vitiligo (2030 statt 2029) führt zu einer Reduktion des fairen Wertes um ca. 3 AUD/Aktie.
Sind wir also Inhaber eines werthaltigen Unternehmens? Mit großer Wahrscheinlichkeit ja. Der wesentliche Wermutstropfen bleibt, dass auf kurzfristige Sicht wenig sichere Katalysatoren erkennbar sind. Der Farbe beim Trocknen zuschauen ist eben nicht nur langweilig, sondern auch schmerzvoll.


Hallo Christoph,
Wie immer ein toller Artikel. Es hilft tatsächlich alle Fakten nebeneinander zu legen, um hier und da ein vollständiges Bild zu bekommen.
Ein Hinweis und eine Frage: In einer Überschrift nennst du XP statt VP. ACTH ist aus meiner Sicht auch ein realistischer Revenue Stream, auch wenn sich hier die Timeline kontinuierlich dehnt. Gibt es einen Grund warum du ACTH nicht im Artikel und im DCF-Modell berücksichtigst?
Vielen Dank & Grüße
Florian