Am letzten Mittwoch fand in Düsseldorf das Clinuvel Investor Briefing für deutsche Aktionäre statt – und damit eine gute Gelegenheit, dem Management im persönlichen Gespräch Fragen zu stellen und Hintergrundinformationen zu recherchieren.
Heute möchte ich Euch eine kurze Zusammenfassung dazu geben. Dazu möchte ich vorweg erwähnen, dass es weniger das vom Unternehmen präsentierte Gesamtbild ist, was dieses Event bereichernd machte, sondern die Informationen zwischen den Zeilen, und damit relativ viele Details. Entschuldigt deshalb bitte, wenn die hier zusammengetragenen Informationen weniger einem roten Faden folgen, sondern ein bisschen zusammengewürfelt erscheinen. Darüber hinaus sind es vor allem subjektive Eindrücke, die ich hier schildere, und die können natürlich richtig oder falsch sein.
Das Setting
Das Investor Briefing fand in einem Düsseldorfer Hotel statt und begann mit einer offenen Gesprächsrunde der Aktionäre und Interessenten untereinander, während sich die Clinuvel-Mitarbeiter dazu gesellten. Anwesend waren unter anderem Malcom Bull (Head of Investor Relations), Marga Bibiloni (Director Brand Strategy), Geraldine Hardy (Investor Relations Europe) und Philippe Wolgen (CEO).
Im Laufe des fast 6-stündigen Meetings folgten verschiedene Vorträge und Diskussionsformate zu folgenden Themen:
- Historie: der Weg von der Endeckung Afamelanotides an der University of Arizona in den 1980ern bis zur erfolgreichen Behandlung von EPP heute
- Patientenstimmen: Wie verändert Scenesse das Leben von EPP-Patienten
- Investor Relations Arbeit und Aktionärsstruktur
- Podiumsgespräch mit Prof Elisabeth Minder aus der Schweiz, die federführender Kooperationspartner in der Zulassung von Afamelanotide in Europa war
- Ausblick auf die nächsten größeren Schritte, insb. Vitiligo & Kosmetik-Produkte
- Podiumsdiskussion mit Helmut Jonen (@waikiki5800) und Juhani Linde (@juhani.linde) sowie Beantwortung von Fragen aus dem Publikum
Im Wesentlichen wurden keine neuen Materialien oder Daten vorgestellt. Die Präsentationen bestanden überwiegend aus dem Material, das seit der AGM im November 2023 und bei späteren Gelegenheiten veröffentlicht wurde. Neu war (für mich) zumindest das Patientenvideo, das emotional den Leidensweg von Patienten nachzeichnete und regelrecht cinematisch in Szene gesetzt war – eine beeindruckende Arbeitsprobe von Marga Bibiloni und ihres Teams, die zeigte, dass sie in der Lage ist, für Clinuvel als pharmazeutisches Unternehmen, aber auch für die zu erwartenden Kosmetikprodukte ein authentisches und wiedererkennbares Profil zu kreieren.
Hier nun ein paar Fundstücke, die sich aus den Erläuterungen zu den Präsentationen und aus persönlichen Gesprächen ergaben:
Vitiligo-Fortschritte und Markteinschätzung
Clinuvel hatte am 8. März eine kurze Pressemitteilung dazu rausgegeben, dass auf einer Plenumssitzung der American Academy of Dermatology Behandlungserfolge aus der Phase III Studie für Vitiligo vorgestellt wurden (Bild rechts, Quelle: clinuvel.com), die deutlich die Wirksamkeit des Präparats an einem Beispiel zeigen.
Diese Veröffentlichung seitens Clinuvel geschah offensichtlich nicht ganz freiwillig: Offensichtlich war hier ein Kooperationspartner von Clinuvel vorgeprescht, ohne die Einwilligung von Clinuvel einzuholen. Philippe Wolgen sagte sinngemäß dazu: „Es wäre mir lieber gewesen, diese Bilder nicht zu veröffentlichen. Jetzt weiß jeder, wie gut Scenesse bei Vitiligo wirkt. Ich wäre lieber weiter unter dem Radar geflogen.“
Hinsichtlich der Marktgröße und erwarteter Umsätze bei Vitiligo gab es in Online-Foren zahlreiche Spekulationen, da die veröffentlichten Daten nicht ganz eindeutig waren. Je nach Interpretation der Daten waren für Vitiligo-Umsatz in den ersten zwei Jahren nach Markteinführung entweder 490 – 570 Mio USD pro Jahr zu erwarten, oder etwa ein Zehntel davon (44-51 MioUSD). Dies hat Philippe Wolgen in Düsseldorf konkretisiert, dass die zu erwartenden Umsätze bei 490-570 Mio USD liegen würden, wenn die Marktzulassung erfolgt. Damit die Marktdurchdringung schneller gelingt als bei EPP, weitet Linda Teng bereits jetzt die Anzahl der Distributionszentren in den USA aus, um zur Markteinführung ca. 120 Zentren geographisch verteilt anbieten zu können. Eine Vitiligo-Therapie wird pro Patient 7-8 Implantate im Verlauf eines Jahres erfordern. Auf Nachfrage, ob die Patienten dann „geheilt“ sind (und kein Medikament mehr benötigen), antwortete Wolgen, dass er davon ausgeht, dass eine „Erhaltungs-Therapie“ von 1-2 Implantaten pro Jahr realistisch sei, um Rückfälle zu verhindern.
Auf Fragen dazu, warum die zuletzt beschleunigten Aktivitäten für Vitiligo nicht früher gestartet worden sind, wiederholte Wolgen ein Statement, das er bereits früher abgegeben hatte: „Es hilft nichts, regulatorischen Fortschritt zu erzielen, wenn man nicht auch Klarheit mit den Versicherern hat, dass sie auch bereit sind, die Kosten des Präparates zu tragen.“ Erst als dies in Diskussionen mit den Versicherern geklärt wurde, sei Clinuvel bereit gewesen, die beträchtlichen Summen in die Hand zu nehmen, welche die beiden Phase 3 Studien mit jeweils 200 Patienten erfordern. Darüber hinaus gab es auch eine Klärung dazu, warum zwei Phase III Studien – CUV105 und CUV107 – geplant sind: Man möchte damit das Risiko senken, dass die FDA sich nach Einreichung des Antrages auf Marktzulassung auf Basis nur einer Phase III Studie die Zeit zur Prüfung nimmt, und mit der Antwort „just one more study“ („nur eine weitere Studie“) zurückkommt – dann wären sehr schnell 5 weitere Jahre verloren für Warten auf das FDA-Feedback, Studienplanung, -durchführung und -auswertung. Den zusätzlichen Zeitbedarf für die zweite, ggf. obsolete Studie bezifferte er auf ca. 18 Monate.
Hinsichtlich der Einschätzung des Wettbewerbs bei Vitiligo zeigt Clinuvel sich selbstbewusst: Die JAK-Inhibitoren, die von der Konkurrenz als Wirkstoff verwendet werden, reduzieren die Immunantwort des Körpers, so dass dieser anfällig für andere Infektionen wird (darunter auch potentiell lebensbedrohliche wie Lungenentzündung). Darüber hinaus konzentriere sich Pfizer bei seinen Studien auf die Wiederherstellung der Pigmentierung im Gesicht; aus Patienteninterviews weiß Clinuvel jedoch, dass insbesondere de-pigmentierte Hautareale am Körper eine hohe psycho-soziale Belastung für die Patienten sind, weil diese die Patienten oft hindern, sich für intime Partnerschaften zu öffnen. Damit erscheint der Therapie-Fokus von Clinuvel, sich auf die Wiederherstellung der Pigmentierung auf der gesamten Körperfläche zu fokussieren, ein eindeutiges Differenzierungsmerkmal zu sein – und die Bilder aus der Phase III Studie (Beispiel rechts) zeigen auch, dass sie dieses Ziel offensichtlich auch erreichen können (Wobei ein einzelnes Beispiel natürlich noch keine statistische Aussagekraft hat).
OTC-Produkte (Kosmetik)
Hinsichtlich der Markteinführung der Kosmetikprodukte zum Breitband-Lichtschutz („Protect“), DNA-Reparatur („Preserve“) und Bräunung („Bronze“) gab es ein paar Erläuterungen zum Event bei Lady Gaga und Michael Polansky, und das dies ein „Pilot“ war, um zu verstehen, wie man Celebrities und Influencer nutzen kann, um Sichtbarkeit für einen neuen Player im Kosmetik-Markt und seine Produkte zu schaffen („Create an audience“). Beim „echten“ OTC-Launch würde es diese Art von Events „mal zehn“ geben. Dass der OTC-Launch scheinbar um ein Jahr verschoben wurde, führte Wolgen darauf zurück, dass sie in ihren Social Media Testkampagnen nicht die ausreichende Reichweite erzielt hätten, um die Produkte erfolgreich einzuführen. Sein Team hätte darauf gedrängt, es trotzdem zu tun (was aus meiner Sicht impliziert, dass die Produkte entwicklungsseitig fertig sind), aber ihm wäre es wichtiger gewesen, das Konzept zu optimieren, um maximalen Erfolg sicherzustellen.
Clinuvel sagt, dass sie es als unbekanntes Unternehmen ohne etablierte Kosmetik-Marke schwer haben, sich gegen die finanzielle Marketing Power von Kosmetik-Riesen wie L’Oreal oder Beiersdorf zu positionieren, und wollen deshalb gezielt über „underserved audiences“ (wenig bearbeitete Zielgruppen, wie Extremsportler, immun-kompromittierte Patienten) die Produkte einführen, und dies auch eher mit einem Premium-Preis. Dies mag für den Anfang eine gute Markteintrittsstrategie sein, um die finanzielle Belastung zu minimieren – denn die Kosten von Massenmarkt-Marketing-Kampagnen können in den ersten Jahren das mehrfache des Umsatzes betragen. Gleichzeitig glaube ich, dass man unter dem Potential der Wirkstoffe bleibt, wenn man sich langfristig auf diese Nischen beschränkt, und nicht versucht, sukzessive in den Massenmarkt zu gehen (ggf. auch über ein Lizenzkonzept mit einer etablierten Marke). Dies müsste man aber eigentlich dann schon von Beginn an machen, denn keine große Marke wird einen Wirkstoff nutzen, der bereits von einer anderen Marke genutzt wurde – denn keine Marke kann es sich leisten, als „Me-too“ zu erscheinen. Deswegen findet man in den beworbenen Wirkstoffen auch keine Überschneidungen zwischen den Produkten von Beiersdorf, L’Oreal und anderen – denn ein „Kopieren“ anderer Marken würde das Markenelement der Innovation beschädigen.
Management-Philosophie
Neben diesen inhaltlichen Aspekten war es sehr aufschlussreich, das Clinuvel Management in ihrer direkten Interaktion mit den Aktionären außerhalb des Scheinwerferlichts zu erleben. Alle Mitarbeiter waren sehr interessiert, in den Dialog mit den Aktionären zu gehen; Kritik und Anregungen wurden Ernst genommen. Erstaunlich war, dass eigentlich jeder unabhängig von seinem Aufgabengebiet zu allen Themen grundsätzlich auskunftsfähig war und die Erläuterungen sehr konsistent waren, was aus meiner Sicht bestätigt, dass das Unternehmen strategisch stringent und offen geführt wird.
Bei Philippe Wolgen war erstaunlich, dass er selbst nach 20 Jahren im Unternehmen mit gleichbleibend hohem Energielevel und Enthusiasmus seine Pläne und Überzeugungen vermittelt. Er war offen für kritische Fragen, zeigte mit seinen Antworten aber auch, dass er selbstbewusst das strategische Gerüst vertritt, das er über Jahrzehnte aufgebaut und angepasst hat. Auf Fragen zu den Verzögerungen, die man in der Vergangenheit sehen konnte, sagte er sinngemäß: „Als ich diesen Job angetreten bin, habe ich gedacht, das alles schaffen wir in 10 Jahren. Mir war nicht klar, mit wieviel regulatorischen und bürokratischen Hürden wir zu kämpfen haben würden, und wie lange es braucht, Institutionen von überholten Überzeugungen abzubringen. Inzwischen ist dies in unsere DNA übergegangen – wir sind gut darin geworden, Hürden zu antizipieren und uns darauf einzustellen.“ (Wie bei der oben erwähnten zweiten Vitiligo-Studie). Eigentlich alles von dem, was Clinuvel in den vergangenen Jahren getan hätte, sei „First-of-a-kind“ („Pionierarbeit“) gewesen – und Innovation bringe immer Risiken mit sich. In vielen Fällen hätte Clinuvel nur die Chance für einen Schuss aufs Tor gehabt, und der hätte sitzen müssen – deshalb habe er sich manches Mal dafür entschieden, lieber mehr Zeit zu investieren, damit dieser Schuss auch verwandelt wird, und nicht die Basis des Geschäfts von Clinuvel ruiniert.
Während des Meetings habe ich in einem kleineren Kreis mit Wolgen sprechen können, und bin überzeugt, dass sein unternehmerischer Wille, diese Sache zu Ende zu bringen (=erfolgreiche Markteinführung Vitiligo und OTCs), ungebrochen stark und sein Plan durchdacht ist. Was aber gleichzeitig zu erkennen war, dass er seinen Erfolg nicht vorrangig am Aktienkurs bemisst, sondern dieser für ihn eher zweitrangig ist – und nur dadurch für ihn zum Ärgernis wird, weil er Beschwerden der Aktionäre erhält. Auch der kürzlich begonnene Aktienrückkauf ist ein Zugeständnis an die Aktionäre, die vielfältig dazu aufgerufen haben, und nicht seinem eigenen Bedürfnis nach Kurspflege geschuldet. Dass diese Treffen mit Aktionären wie in Düsseldorf jetzt stattfinden und auch der vorher kategorisch abgelehnte Aktienrückkauf jetzt durchgeführt wird, zeigt immerhin, dass man bei Clinuvel erkannt hat, dass frustrierte Aktionäre und niedrige Kurse auch ein Risiko darstellen (z.B. Gegenstimmen bei der Hauptversammlung oder feindliche Übernahmeangebote). Man akzeptiert die Tatsache, dass man ein börsengelistetes Unternehmen ist – sieht sich aber vor allem in der Verantwortung, die richtigen Entscheidungen für das Unternehmen zu treffen, statt den Kurs zu „managen“ (was vielleicht auch nur begrenzt möglich ist). Für die Aktionäre ist es gut und richtig, dass Wolgen stark auf die langfristige Wertsteigerung des Unternehmens fokussiert. Seine für einen CEO einer börsennotierten Firma bisher geringe Aufmerksamkeit auf den Aktienkurs hat aber auch dazu beigetragen, dass die Aktie übermäßig volatil ist und sich weit vom inneren Wert entfernen konnte. Diese Volatilität ist trotz aller Rationalität als fundamentaler Aktionär nicht immer einfach auszuhalten, da sie das Gefühl generiert, dass „andere mehr wissen“, oder „etwas nicht stimmt“. Das solches Unbehagen bei Clinuvel öfter auftreten könnte, sollte jeder Investor bei der Wahl seiner Positionsgröße berücksichtigen – denn gut schlafen können sollten wir am Ende des Tages alle.
Ich freue mich darauf, wenn Clinuvel den eingeschlagenen Weg zu mehr Offenheit weiter geht und ausbaut. Es sollte allen Aktionären klar sein, dass der Weg zur Kommerzialisierung neuartiger Produkte von Risiken, Kompromissen und Umwegen geprägt ist. Diese offen zu kommunizieren (ohne strategische sensitive Informationen preiszugeben) ist für mich und auch viele andere Aktionäre, mit denen ich in Kontakt stehe, kein Zeichen von Schwäche, sondern eines kompetenten und selbstbewussten Management-Teams, wie ich es in Düsseldorf erleben konnte. Diese neu gefundene Offenheit dient der Vertrauensbildung auf dem langen und gewundenen Weg zum Markterfolg.
Disclaimer:
Ich halte in meinem privaten Wertpapierportfolio sowie in meinem Wikifolio-Musterdepot „Minus Sinus Value Select“ Aktien von Clinuvel Pharmaceuticals Ltd. Daraus können sich Interessenkonflikte ergeben, da ich direkt und indirekt von steigenden Aktienkursen profitiere. Dieser Artikel dient der Information und Unterhaltung für den Leser und stellt keine Anlageberatung dar, da ich Eure persönlichen Investitionsziele und Anlagehorizonte nicht kenne. Die genannten Statements des Unternehmens sind von mir auf Basis schriftlicher Notizen und Erinnerungen festgehalten; hier können sich Verständnis-, Übersetzungs- und Erinnerungsfehler eingeschlichen haben – deshalb kann ich trotz großer Sorgfalt für die Inhalte keine Haftung übernehmen. Für detaillierte Hinweise lest biete meinen Disclaimer.